Eine Klinge schmieden… 

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Ein Beitrag von Alexander Madl

Sommer 2012, Hirschegg – neben vielen menschlichen Begegnungen und einem anregenden Training gab es auch viel philosophischen Input, Saatkörner zum Weiterdenken. Inspiriert von der Dokumentation über Heidegger und das „Kreative in die Welt Bringen“ wollte ich mal wieder etwas mit meinen Händen machen, etwas anderes als eine Computermaus über den Schreibtisch schieben… und entschied mich für einen Workshop, ein Damastmesser zu schmieden.

Es ist düster in der Schmiede und heiß. Die gestapelten Stahlplatten liegen im Feuer. Man muss die richtige Temperatur erkennen, die harten und weichen Lagen verschweissen, schmieden. Es ist meditativ – warten, bis der Stahl die richtige Farbe hat, dann schnell und konzentriert an den mechanischen Hämmern schmieden, schweisstreibende körperliche Arbeit trotz Maschine. Präzision ist gefragt, dem Stahl die richtige Form geben, die weichen Lagen nicht verschieben.

Dann wieder warten. Dreimal wird der Stahl ausgeschmiedet, abgekühlt, poliert, in Stücke geschnitten, gestapelt, und wieder ins Feuer gelegt. So werden die zwei Stähle – zwei Qualitäten, die eine hart und spröde, die andere weich und zäh – miteinander verbunden. Durch den Prozess winden sich die Lagen ineinander, ihre Individualität erhaltend und dennoch unlösbar verbunden,

zusammen eine neue Qualität bildend. Die Klinge wird hart sein, und gleichzeitig elastisch. Diese Art der Verbindung, individuell UND verbunden, ist essentiell. Wenn man nicht aufmerksam ist, wenn der Stahl zu heiß wird, zu lange im Feuer liegt, schmelzen die Lagen zusammen. Ihre gegensätzlichen Qualitäten gleichen sich aus – ins Mittelmaß. Die Klinge wäre weder richtig hart, noch richtig flexibel, wäre unbrauchbar. Und ich frage mich, wie können wir Menschen unsere individuellen Qualitäten, die doch so unterschiedlich sind, in etwas Gemeinsames geben, ohne diese Individualität aufzugeben und in ein Mittelmaß zu verschmelzen?

Denn gerade in dem Ineinander-verwinden, -verschmieden, -verbinden entsteht ja eine weitere Qualität, eine neue Individualität. Kein Damast gleicht dem anderen. Wie bei Holz hat jeder sein einzigartiges Muster, gleichsam eingeprägt ist die Erinnerung an den Prozess des Ineinander-Faltens der Lagen. Ein Damszenermesser ist nützlich und ästhetisch und individuell. Später, ganz am Ende des Prozesses, wird die Klinge geätzt, wird die schon im gefalteten Stahl enthaltene Schönheit herausgehoben, entwickelt, ans Licht gebracht.

Doch vorher muss dem rechteckigen Stück Metall die Form gegeben werden. Einen ganzen Tag schleifen wir, Lage für Lage, überschüssiges Material ab. Viel Fingerspitzengefühl ist gefragt, damit nicht zu viel und nicht zu wenig Material weggenommen wird. Immer wieder greift der Schmied ein – das kann man nicht an einem Wochenende lernen – viel Übung ist notwendig, um den richtigen Winkel, das richtige Maß an Druck zu treffen. Meine Gedanken schweifen, ich sinniere über das Herausschleifen der Klinge aus dem Metallriegel – ist das nicht auch so ähnlich beim Aikido-Training? 

Wir lernen neue Bewegungen, na klar. Aber wird nicht vielmehr viel an alten, unnützen Bewegungen „abgeschliffen“, Lage für Lage, um eine ursprüngliche Form heraus zu arbeiten? Wie ist das mit der Entwicklung in unserem Leben? Entwickeln wir Eigenschaften oder legen wir etwas frei, etwas, das schon immer in uns war, verborgen unter den Schichten von Erlernten und Erworbenen? Und: wie viel Messer war denn schon in dem Metallriegel, bevor ich mich entschieden habe, genau dieses Messer, dieses einzigartige, aus der Form heraus zu holen?

Mittlerweile sitzen wir auf Stühlen im Garten, zwischen den Bienenstöcken, trinken Kaffee und schleifen die Holzgriffe in Form – 60er – 120er – 240er – 320er Körnung. Ich habe ein dunkles, rotes Holz aus Südamerika gewählt, ein Holz mit wenig Maserung. Der Griff soll harmonisch zur Klinge passen, das Muster des Damast unterstreichen, ohne selbst zu dominant zu sein. Nur, wie entscheidet man das, wenn der Damast noch nicht im Säurebad entwickelt ist?

Es ist ein schöner Platz hier, ein Platz zum Ausstieg. Jan, der Schmied, hatte Bankkaufmann gelernt, ehe er sich entschieden hat, auszusteigen und ein Handwerk zu lernen. Er lebt fast autonom hier im Mecklenburgischen, hat Landwirtschaft, eine Kuh, die Bienenstöcke. Und er kann davon leben, Messer zu schmieden…

Der Griff ist schnell montiert, ein letztes Polieren mit feinstem Korn – das Schärfen überlasse ich dem Fachmann. Und dann halte ich es in den Händen, mein Messer. Ich habe mit meinen Händen, meiner Kreativität und basierend auf jahrhundertealtem Wissen etwas in sich Einzigartiges in die Welt gebracht – einen nützlichen Gegenstand, der schön ist.